Schriften des Hannah-Arendt-Instituts, Band 47

Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012

592 Seiten, gebunden

ISBN 978-3-525-36996-8

 

 

 

Kurztext

 

Völkisch-religiöse Gruppierungen hofften, dass die 1933 freudig begrüßte Machtübernahme der Nationalsozialisten auch einen „neuen Deutschen Glaubensfrühling“ einläuten werde. Dies sollte sich bald als Illusion erweisen. Der deutschchristliche wie auch der konkurrierende neuheidnische Flügel der völkisch-religiösen Bewegung scheiterten dabei nicht nur an ihrem Unvermögen, persönliche wie weltanschauliche Gegensätze zu überwinden. Sie hatten vor allem ihre Handlungsspielräume über- und das nationalsozialistische Machtkalkül unterschätzt, auch wenn einzelne Gruppierungen und Protagonisten von maßgeblichen Akteuren des polykratischen Systems zeitweise Unterstützung erfuhren.

Die Analyse der völkisch-religiösen Bewegung im Nationalsozialismus ist für die Religionsgeschichte des „Dritten Reiches“ unverzichtbar. In dem von Uwe Puschner und Clemens Vollnhals herausgegebenen Sammelband stellen sich 26 Autorinnen und Autoren dieser Aufgabe.

Ein Beitrag von Winfried Mogge beschäftigt sich mit den völkisch-religiösen Jugendbünden (vor allem den „Nordungen“ und den „Jung-Germanen“), ihrer Herkunft, Geschichte und Ideologie. Daraus ist die folgende Textprobe entnommen.

 

 

 

Textprobe

 

Aus: Winfried Mogge, „Wir lieben Balder, den Lichten ...“. Völkisch-religiöse Jugendbünde vom Wilhelminischen Reich zum „Dritten Reich“.

 

Fortleben im Nationalsozialismus

Die meisten völkisch-religiösen Bünde suchen und finden Mitte 1933 den Anschluss an die von dem Religionswissenschaftler Jakob Wilhelm Hauer (1881-1962) initiierte Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung. Hier will man im – generell akzeptierten und begrüßten – nationalsozialistischen System überleben und gemeinsam für die staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft kämpfen. Mit dabei sind die Nordungen und etliche weitere Gruppierungen aus der „Bündischen Jugend“. So nimmt Hauer Teile des ursprünglich christlichen Bundes der Köngener, den er 1920 als junger Mann aus den evangelischen Bibelkreisen herausgelöst und bis 1933 geführt hat, als seine Kerntruppe in die Glaubensbewegung mit.

Wer bei dieser großen Sammlungsbewegung mitmacht, zahlt den Preis der Selbstauflösung zugunsten der geeinten und autoritär geführten Deutschen Glaubensbewegung. Das ist die Beschlusslage bei der Gründungsversammlung Pfingsten 1934 in Scharzfeld, bei der übrigens die Nordungen ein „Maien-Spiel“ vor der „Steinkirche“ gestalten. Mehrere Zeitschriften gehen in der neuen Monatsschrift „Deutscher Glaube“ auf. Doch bald schon zerbricht die Einigung an internen Generationenkonflikten und ideologischen Streitigkeiten. Vor allem aber wird sie in der nationalsozialistischen Religionspolitik nicht mehr gebraucht: Die aus völkisch-religiösen Bünden und Geheimgesellschaften gekommene NS-Bewegung ist nun selbst die große „faschistische Religion“ aus „Blut, Rasse und Germanentum“. Aufgespalten und umgewandelt in eine nationalsozialistische Kampforganisation, besteht die Glaubensbewegung mit anderen Namen, doch ohne maßgebliche Rolle im politischen und kirchlichen System noch bis zum Ende des „Dritten Reiches“.

Die alten Verbände mit ihren altgewordenen Führern und Propheten treten also 1934 erneut an, pflegen ihr Gemeindeleben, feiern ihre Feste, geben ihre Zeitschriften und Programmschriften heraus. Die „nordischen“ Glaubensbünde – mit Ausnahme der Nordungen – kommen in einer Nordischen Glaubensgemeinschaft wieder zusammen und bauen nun eine scharfe Frontstellung gegen die Deutsche Glaubensbewegung auf. Zwar nicht als „dritte Konfession“ staatlich anerkannt, sind sie doch als „religiöse Glaubensgemeinschaften“ vom Regime toleriert. Das gilt auch für ihre Jugendgruppen, sofern die sich auf rein „religiöse Betätigungen“ beschränken, das heißt auf „politische“ Aktivitäten, öffentliche Veranstaltungen, Uniformen und Symbole verzichten. Die Reichsjugendführung weist in vertraulichen Anordnungen ihre im Kampf gegen religiöse Verbände oft übereifrigen Funktionäre wiederholt auf diese zurückhaltende Politik der Parteiführung hin. Freilich darf der „Pflichtdienst“ in der Hitlerjugend durch die Ausübung einer „konfessionellen Betätigung“ nicht beeinträchtigt werden und ist die Mitgliedschaft von HJ-Führern in der Deutschen Glaubensbewegung „nicht erwünscht“. So werden die betroffenen Verbände systematisch von möglichem Nachwuchs abgeschnitten.

Als einziger der alten völkisch-religiösen Bünde bleiben die Nordungen auch nach 1934 bei der Deutschen Glaubensbewegung. Zu Beginn, bei den ersten Schritten hin zur euphorisch erwarteten „Millionenbewegung“, beteiligen sie sich an der Gründung eines „Jugendwerkes“, das als Deutsche Glaubensbewegung – Jungmitglieder für Glaubensunterweisung und Brauchtum zuständig sein soll. Das heißt, die den Religionsgemeinschaften vom Regime zugestandenen Betätigungsmöglichkeiten will man voll ausschöpfen. Führer der Jungmitglieder ist der schon im Bund der Köngener bewährte Geschäftsführer der DG, der später als Kriegsverbrecher verurteilte Paul Zapp (1904-?). Ob und wie weit diese als „Stoß- und Kerntrupp der Bewegung in dem Kampf gegen die geistigen und geistlichen Fremdmächte“ angetretene Jugendarbeit noch gediehen ist, lässt sich nicht feststellen.

In den Zeitschriften der Deutschen Glaubensbewegung, die sich gelegentlich mit Aufrufen und Werbeaktionen an die „Deutsche Jugend“ wendet, spielen die Nordungen bald keine Rolle mehr. Anfangs prägt noch Hildulf Rudolf Flurschütz mit genau ausgearbeiteten Vorgaben für „Jahrlauffeste“ und „Jungvolkweihen“ die Festkultur der gesamten DG. Ende 1935 wird er, wohl nach interner Kritik an seinem übertrieben „germanischen“ Auftreten und unter Verdacht des „Wodankultes“, aus der Öffentlichkeit gezogen. Im folgenden Jahr wird Arthur G. Lahn, nach wie vor als Führer der Nordungen bezeichnet, Leiter eines neu eingerichteten „Hauptamtes für Fest, Feier und Brauchtum“. Die Deutsche Glaubensbewegung bzw. ihre Nachfolgeorganisationen veranstalten in den Großstädten, namentlich in Berlin, „Jugendfeiern“ mit großem Zulauf. Als diese Anfang 1942 als „überflüssig geworden“ verboten werden, geht der Bewegung eine zentrale Aktivität verloren. Für außerkirchliche „Jugendweihen“, offiziell „Verpflichtung der Jugend“ genannt, ist nun allein die Hitlerjugend zuständig.

Ob die Nordungen ihre Treue zur Deutschen Glaubensbewegung, den Rücktritt Hauers als deren „Führer“ (1936) und die Umwandlung in einen Kampfring Deutscher Glaube (1938) noch lange überdauert haben, ist eher unwahrscheinlich. Beim offiziellen Verbot der DG durch die Alliierten im Jahr 1946 werden sie nicht eigens erwähnt. Nach dem Krieg finden sie in einem Freundeskreis ehemaliger Nordungen neu zusammen und pflegen die Legende von ihrer Selbstauflösung im Jahr 1934, angeblich um der Vereinnahmung durch die Hitlerjugend zu entgehen. Seit 1964 bis zu ihrem biologischen Ende kommen sie alljährlich in Scharzfeld zusammen oder treffen sich mit den ebenfalls wiedergegründeten Freundeskreisen der alten Adler und Falken (nun Dörnbergbund) und Artamanen zur Beschwörung der deutschen Wiedergeburt im Zeichen der „Weltesche Igdrasil“.

Über den weiteren Weg der Jung-Germanen nach 1933 konnte nichts ermittelt werden. Sie bleiben dem Nordischen Ring verbunden; der wiederum wird 1936 „gleichgeschaltet“, das heißt konkret: in die von Alfred Rosenberg okkupierte Nordische Gesellschaft und somit in das Außenpolitische Amt der NSDAP überführt. Bis zum Auffinden anderslautender Informationen wird man damit auch das Ende der Jung-Germanen als Organisation ansetzen können.

Auch die Unterlagen der nationalsozialistischen Überwachungsbehörden geben nichts her für das Ende der völkisch-religiösen Jugendbünde. Selbstverständlich stehen sie wie sämtliche Religionsgemeinschaften unter Beobachtung. In die Berichte des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS und der Geheimen Staatspolizei finden aber nur die Deutsche Glaubensbewegung und anfangs noch ihre Mitgliedsverbände Eingang; die sonstigen Gruppen (außer der Ludendorff-Bewegung) und viele kleine Neugründungen werden offensichtlich nicht ernstgenommen und schon gar nicht als „Gegner“ identifiziert. Bei allen beobachtet und beschreibt man spätestens 1939 nur noch das Erlahmen ihrer Aktivitäten. Die Völkisch-Religiösen sorgen mit fortwährenden internen Flügelkämpfen schon selbst für ihre Erosion. Mit Kriegsbeginn und mit der allgemeinen Zerstreuung der Männer auf die europäischen Kriegsschauplätze werden diese Gemeinschaften ihre Mitglieder und Strukturen verloren haben. Das könnte eine Erklärung sein für ihr nahezu spurenloses Vergehen auch ohne offizielle Auflösung oder Verbot.

 

Zahlen und Karrieren

Mitgliederzahlen und Statistiken für die Jugendverbände (wie überhaupt für die völkisch-religiösen Gemeinschaften) sind nicht überliefert; solche Interna werden strikt geheimgehalten. Der Jungborn berichtet 1922 über neun „Lauben“ (regionale oder lokale Gruppen). Die Nordungen nennen einmal in einer internen Notiz (1925) 300 Mitglieder, die sich wohl auf Berlin und Leipzig konzentrieren. Weitere Ortsgruppen oder „Gaue“ sind in Sachsen, Bayern und im Rheinland bezeugt, mit einer grotesken Vielzahl von „Ämtern“ und einer jährlich in Scharzfeld tagenden „Waltherrenschaft“ als eine Art Aufsichtsrat für Glaubens- und Brauchtumsfragen. Die Jugendbünde werden jeweils einige hundert Mitglieder nie überschritten haben. Die Quantität besagt jedoch wenig über tatsächliche und potenzielle Wirkungen dieser Gruppen, die sich als Elitetruppen mit strengen Auslesekriterien verstehen.

Die Bezeichnung „Jugend“ ist nicht allzu eng zu nehmen. Beim Jungborn beträgt das Durchschnittsalter 20 bis 22 Jahre, Höchstalter für die Aufnahme ist 28, mit 35 wechselt man in den Deutschen Orden über. Vor der Gründung der Nordungen heißt es, man sammle alle „wesentlich Jungen“ und ziehe keine Altersgrenze; später wird einmal 40 Jahre als Obergrenze genannt. Ähnlich dürfte es bei den anderen Gruppierungen gewesen sein. Für das Führungspersonal gilt offensichtlich kein Höchstalter.

Was wird aus den leitenden Personen der völkisch-religiösen Jugendgemeinschaften nach 1933? Es gibt keinen aussagefähigen Korpus an Biografien. Schon nach einer ersten Recherche zeichnet sich jedoch ab, dass diese Männer (und in der zweiten Reihe auch Frauen) keine Sammlung skurriler Wandervögel darstellen, sondern eine extrem rassistische, „rassenaristokratische“, menschenverachtende und in der Konsequenz menschenvernichtende Bewegung repräsentieren und ungeachtet aller Bemühungen um den Erhalt der eigenen Organisationen in den Nationalsozialismus führen. Die Älteren, die Gründerväter und Propheten, werden im „Dritten Reich“ zwar noch halbherzig geehrt, aber doch nicht mehr gebraucht. Die Jüngeren hingegen stützen zielstrebig ihre beruflichen Karrieren durch Beitritte zur NSDAP; einige betätigen sich in führenden Positionen in der SS und setzen hier ihre in den völkisch-religiösen Bünden entwickelten Rassetheorien in die politische Praxis um.*

 

* Beispiele, sofern mit Personalakten aus dem Bundesarchiv/Berlin Document Center (NSDAP-Mitgliedskartei, NSLB-Kartei, PK, RK, RS, DS, SSO) zu belegen:

Kurt Holler (NSDAP-Mitglied Nr. 2.290.322 vom 1. 5. 1933), Professor, Lektor im Rassenpolitischen Amt der NSDAP, Oberscharführer im Rasse- und Siedlungshauptamt SS.

Bernhard Kummer (Mitgl. Nr. 87.841 vom 1. 5. 1928, dann Nr. 1.927.141 vom 1. 5. 1933), Professor, Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP.

Arthur Lahn (Mitgl. Nr. 1.441.153 vom 1. 2. 1933), Stadtoberinspektor.

Wilhelm Schloz (Mitgl. 1923-26, dann Nr. 3.222.086 vom 1. 5. 1933), Gewerbeschulrat.

Rudolf Tack (Mitgl. Nr. 95.979 vom 1. 8. 1928), Hauptsturmführer im Rasse- und Siedlungshauptamt SS, Untersturmführer in der Leibstandarte SS „Adolf Hitler“.

Paul Zapp (Mitgl. Nr. 4.583.288 vom 1. 5. 1937), SS-Sturmbannführer, Abteilungsleiter und Stabsführer im Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, Führer des Sonderkommandos 11a der Einsatzgruppe D.

 

(Die Anmerkungen, Literatur- und Quellennachweise sind in dieser Textprobe weggelassen.)

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